liegen in ihren betten als ich ihr zimmer betrete. oma und ilse waren die letzten sieben jahre eng befreundet und besuchten sich fast täglich. als ilse dann schwächelte, gab oma auch auf und beide fanden sich etwas zeitversetzt im pflegeheim wieder, weil es weder jeweils alleine noch zusammen ging. beide konnten gemeinsam ein zimmer beziehen und sich gegenseitig helfen und abends vor dem einschlafen noch etwas schwatzen. aber das ist nicht mehr so. sie schwatzen nicht mehr und keine kann mehr alleine auf den dünnen beinchen stehen.
seit knapp zwei jahren, kommt die familie immer wieder zusammen, weil es ans sterben geht. aber sterben ist bei manchen menschen ebenso schwer, wie das leben, das sie hatten.
ich laufe mittags los, weil ich es meiner mutter versprochen hatte und weil es klar ist, dass es jedes mal das letzte mal sein könnte, wenn ich hingehe.
ich hab mich ängstlich gefühlt, weil mein nervenkostüm grad eh nicht so strotzt vor kraft und während ich zum pflegeheim laufe, kommt es mir zu bewusstsein, dass dies wahrscheinlich mein letzter gang dorthin ist. der zeh ist ja schon tot und der arzt, der gott sei dank italienisch mit ihr sprechen kann, schüttelt den kopf und murmelt was von diesem winter.
die vorstellung, zum letzten mal dort hin zu gehen, wo ich alle viertel jahr hingehe und meine mutter täglich, ist schrecklich.
meine halbe italienische kindheit in der nähe von pisa fällt mir ein. diese frau, die nicht so sichtbar war wie ihr mann, aber deren kraftvolle stimme und deren draller nudelgefüllter leib mir vor augen und ohren kommt. ihr lachen und ihr fiat500 in dem wir sonntags nach livorno oder nach empoli fuhren, zum kurkonzert.
als ich vor zwanzig jahren meine familientherapeutische ausbildung begann, gab es damals das konzept des „uneindeutigen abschieds“ für familien mit alzheimerkranken. es bezog sich auf die schwierigkeit der angehörigen, weil der kranke noch da, aber eben nicht mehr da ist. das fällt mir wieder ein auf meinem gang.
sie ist schon lange nicht mehr im leben. aber am leben ist sie noch.
ich bitte auf meinem gang dafür, dass sie zum letzten mal einschlafen kann.
und als ich ihr zimmer betrete, liegt sie da und schläft und hat warme hände. der herzschrittmacher tut seinen dienst aber sie wacht nicht auf, als ich ihre hand nehme und streichle. ich traue mich das kaum, denn das händchen ist klitzeklein und so zart.
sie ist ein filigranes restkörperchen geworden. etwas haut auf knochen, durchzogen von blauen adern und sie träumt und atmet. ich wünsche mir, sie könnte ewig bleiben und wünsche mir, sie könnte gehen.
rosmarin - 18. Jan, 01:14