Andy...

verbringt sein Leben in einem undurchschaubar überdimensionierten Freudenhaus. Einmal hat er ein Zimmer betreten, dessen Tür ihm eine faszinierende Schönheit öffnete. Sie hatte Augen, die tiefer waren als der schönste Bergsee, den er je sah. In ihrem Zimmer blieb er lang. Erkundete jeden Winkel, jedes Regal und übte in ihrem Bett, was es alles zu üben gab und fütterte liebevoll ihren Vogel. Eines morgens, viele Monate, nachdem er ihr Zimmer betreten hatte, öffnete er die Tür und fand ein wildes Pferd davor. Andy sah sich nach ihr um, sah zum Pferd und spürte dessen warmen Atem, griff ihm in die Mähne und plötzlich klappte die Tür hinter ihm zu. Das Pferd geriet in Panik und galoppierte durch den endlosen Flur des Freudenhauses.
Erst jetzt erkannte Andy, wie lang und verschlungen der Flur war und er ging ein paar Schritte. Unbedingt wollte er das wilde Pferd wieder finden und er nahm einen tiefen Atemzug, als sich plötzlich links vor ihm eine Tür öffnete. Eine Sirene lugte heraus und sang mit leiser Stimme Verlockendes. Gerade wollte er eintreten, als sich rechts weiter vorn eine weitere Tür öffnete. Er sah nur ein Frauenbein, ein wunderschönes Frauenbein und roch einen betörenden Duft, der ihn schwindeln machte. Erst ging er nach rechts, zur Tür mit dem Frauenbein, dann zögerte er und wand sich nach links, wo die Sirene sang. Er blickte nach rechts und hatte die Hand schon am Knauf, er blickte nach links und ging einen Schritt.
Einen Stock höher, hörte er das Pferd wiehern und Andy rannte los. Atemlos nahm er die Stufen des Flurs und landete in einem weiteren Stockwerk, das noch länger schien und noch mehr Türen hatte. Viele standen offen, einige waren geschlossen. Vor jeder geöffneten Tür sah er Phantastisches und wollte eintreten… aber kaum hatte er einen Fuß in das Zimmer gesetzt, dachte er an die nächste Tür, deren anheimelnden Ausschnitt er bereits aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte und so zögerte er. Eine weitere Tür öffnete und er sah gar nichts. Das weckte seine Neugier und er trat näher. Andy sah immer noch nichts und wollte Wissen. Also trat er ein, die Tür klappte hinter ihm zu und er sah…: Nichts. Das ganze Zimmer war voller Nebel und in Panik tastete er sich an den Wänden entlang, bis er endlich die Tür wieder fand und nach Atem ringend in den Flur des Freudenhauses zurücktrat. Er beschloss, daraus zu lernen und nie mehr ein Zimmer zu betreten.
Er hielt nicht lange durch. Als Andy im vierten Stock landete, fand er einen geschwungenen Flur, der nicht gut einsehbar war, aber an dessen Türen verheißungsvolle Texte standen. Eine Tür verhieß die wahre Liebe und er konnte nicht anders, als daran zu klopfen. Die Tür öffnete sich und Andy fand sich vor einem großen Spiegel wieder, der ihn höhnisch verlachte. Eine Etage höher wieherte das Pferd und Andy rannte weiter. Die Treppe führte ihn allerdings in die Kurve und mal nach unten und mal nach oben. Er verlor die Orientierung was ihn jedoch nicht störte denn irgendwo hatte er gehört, dass der Weg das Ziel sei.
Und doch wollte er ankommen. Endlich irgendwo heimisch sein und so betrat er endlich das nächste Stockwerk mit dem nächsten Flur, der viele Verzweigungen hatte. Er rannte hundert Meter nach rechts, und wieder zurück. Vielleicht wäre es in der westlichen Abzweigung viel interessanter und so rannte er dorthin. Türen öffneten sich erneut. Hinter jeder Tür eine Frau, jede so schön. Er ging zur ersten. Sie war bezaubernd und charmant. Und gleich in der Nachbartür stand eine, die war die schönste, die er je gesehen hatte. Und gleich in der nächsten Nachbartür stand eine, die war so weise wie eine Eule und so schön wie die Sünde. Und in der nächsten Tür stand eine, die war zwar hässlich aber ihr Lachen klang wie ein tiefer Orgasmus, der das Universum beschallt. Und gleich gegenüber stand eine Hyäne, die ihm Jagd und Heilung versprach. Zwei Etagen unter ihm wieherte das Pferd und Andy rannte weiter.
Als ihm die Puste ausging öffnete sich erneut eine Tür, in der eine Traurigkeit stand, die seiner Hilfe bedurfte. Er ließ sich an der Türschwelle nieder und spendete ihr Trost. Sie bat ihn herein und er ging zu ihrem Bett, nicht ohne seinen Rucksack in ihrer Tür stehen zu lassen. Er hatte gelernt, dass es gut war, sich einen Rückzug offen zu halten und so tat er es auch, als die Traurigkeit ihn verliebt anlächelte. Er floh vor ihrer liebevollen Umklammerung und stolperte versehentlich in das geöffnete Zimmer der Bäuerin, die nach Milch und Brot roch und auch hier schaffte er es, schnell seinen Rucksack in der geöffneten Tür zu deponieren. Es war ihm längst klar, dass die Milch demnächst sauer werden würde und er Lust auf einen Cocktail in den Armen einer Großstadtschlampe bekäme. Er konnte sich das Betreten eines Zimmers ohne geöffnete Tür einfach nicht mehr leisten. Das hatte er begriffen. Denn es gab noch so unendlich viele Türen zu entdecken.
Luiling - 18. Sep, 00:01

das wilde Pferd (ich stelle es mir weiß vor).....der rote Faden.....die Spur des Lebens...das Leben selbst?

Der Scout, der dich aus dem Dschungel herausführen kann, voraus gesetzt, du gebrauchst deine Intelligenz (Rücksack in die Tür stellen), wenn du in schlammigen Sümpfen watest und vertust nicht deine gesamte Zeit mit den Affen.

Luiling - 18. Sep, 00:04

nee, ich verändere "Rücksack" nicht.....;-)))))
rosmarin - 18. Sep, 00:05

lach.... sehr interessante assoziation.
das pferd vor meinem inneren auge war rotbraun.
es hätte ein scout sein können....
aber wenn man ein zimmer nie betritt, wird man nie etwas erleben.... sondern immer nur von flur zu flur laufen und sich für nix entscheiden können, weil es immer noch was vermeintlich spannenderes zu entdecken gibt.
rosmarin - 18. Sep, 00:07

neee bitte nicht verändern.... denn schließlich trifft "rücksack" die sache so genau.... genauer gehts gar nicht :-)
virtualmono - 18. Sep, 00:14

Der Informatiker nennt das backtracking - im Fehlerfall zu dem Punkt zurückkehren, ab dem es schiefgelaufen ist ;-)

rosmarin - 18. Sep, 00:19

au... das ist jetzt interessant....
schön ... :-) ... ich lerne
virtualmono - 18. Sep, 00:55

*Prust* ich krieg mich hier gerade nicht mehr ein... man kann damit auch das Rucksackproblem lösen *hihi*.
rosmarin - 18. Sep, 13:23

gnihihi :-) sie wollten vermutlich backpacking sagen?
(nein nein, ich weiß schon, was sie meinen)
:-)))))
Jossele - 19. Sep, 17:57

Hat ja fast schon ein bisserl was Kafkaeskes die Geschichte.
Der Andy sollte sich Zeit nehmen, denke ich, er sollte sich vielleicht auf den einen oder anderen Raum einlassen.
Die nächste Frau/Tür kann immer schöner sein, was aber zu nichts führt, weil dann ist er immer draußen.
Ich tät dem Andy gern sagen dass sich ein Kosmos entdecken läßt mit der z.B. siebenundzwanzigschönsten Frau, allerdings nur wenn er sich einläßt und den Rücksack nicht als Alibi für Rückzugsmöglichkeit verwendet.
Der Andy wird vor lauter Suchen drauf vergessen selber Raum zu sein.
Na ja, wenigstens ist er nicht allein, weil auf den Gängen rennen so viele herum, und die klopfen sich auf die Schulter und versichern sich gegenseitig dass sie keine Angst haben, die Angsthasen.
"Ja" sagen ist halt viel schwerer als "Ja, aber...".

Sag, heißt der Andy nicht Michael, Andreas, Kevin, Thomas, ...?

rosmarin - 21. Sep, 13:27

Sie meinen Andy sei kein Einzelstück? Sondern liefe mit vielen Namen durch die Flure?
Interssante Idee :-)
Jossele - 21. Sep, 21:33

Ja.
ekowa - 23. Sep, 00:54

Und vielleicht verliert Andy ja irgendwann einmal die Achtung vor sich selber...^^

.. nämlich genau dann wenn ihn die Erkenntnis trifft.. er keine Achtung mehr findet.. das plötzlich nicht "eine" weibliche Schönheit ihn mehr ernst nimmt in den Fluren des überdimensionierten Freudenhauses und nun ihrerseits ihre Spielchen mit ihm treibt.. er über jede Türschwelle gezogen wird ohne jegliche Rücksicht auf seinen Rücksack in der Türe oder gar auf seine Gefühle..
Stellt euch nur mal vor, wieviele Namen über diese Rücksäcke in den Fluren stolpern würden..

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