Waltraud heißt jetzt Polly….

....
Die Wandlung von Waltraud selbst hat ein ganzes Jahr gedauert. Eigentlich gings recht schnell.
Als Albert Waltraud verließ, war sie schon 46 und Albert tot. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, einen jungen Kasachen von einem Einbruchdiebstahl in einen schäbigen japanischen Kleinwagen abhalten zu wollen. Die Gegenwehr des jungen Kasachen kostete Albert das Leben und brachte Waltraud großes Unglück nebst Armut ein. Wochenlang stapfte sie weinend mit dem gemeinsamen kleinen Hund Struppi durch die Wiesen und brüllte den Himmel an.
Als eines Tages der Vermieter Waltraud anbrüllte, dass sie bald obdachlos sei, wenn sie nicht sofort die Miete überwiese, da begriff Waltraud, dass sie nun eine Lösung brauchte. Zunächst rannte sie zum Arbeitsamt, aus dem sie sogleich wieder floh, weil ihr der Papierkram viel zu umständlich erschien. „Wer arbeiten will… der findet auch welche“ sagte sie sich und ging klappern. Die Frittenbuden hätten sie genommen, dies hätte zwar für die Miete, nicht aber für Struppis Futter gereicht. Die Callcenter hätten Waltraud auch genommen, aber Waltraud hasste das Telefon.
4 Wochen lang verdingte sie sich als Hunde-Tagesmutti….Aber das lag ihr auch nicht, denn die ganzen wilden Tölen nervten sie letztlich und das Wetter war einfach mies. Sie sehnte sich nach einem Job, der sie nicht an ihrem heißgeliebten Tagesablauf störte. Es blieb also nur Nachtarbeit.
Eine Nachtschicht in einer nahe gelegenen Tankstelle überzeugte sie davon, dass es zu viele Kasachen in ihrer Stadt gäbe und …. sie erkannte, dass sie überhaupt keine Bereitschaft hatte, Albert vorschnell ins kalte Grab zu folgen. Dies war ihr erster Meilenstein.
Eine Nachtschicht in einer Psychiatrie überzeugte sie davon, dass auch hier zu viele Kasachen weilten, noch dazu mit eigenartigen Ideen in den Köpfen…. und Waltraud verabschiedete sich auf nimmer wieder sehen.
Es war also naheliegend, dass auch Zeitungen verteilen, Brötchen backen und Parkhäuser bewachen, für Waltraud nicht in Frage kämen. Und wie so oft, lag das Gute wirklich nah.
50 Meter von ihrer Wohnung entfernt, gab es ein kleines Hotel. Mittelklasse. Nicht die großen Bonzen stiegen dort ab, sondern alle. Die kleinen Handelsvertreter, die Urlauber, die mobilen Karrieristen, Geschäftsreisende und die, die es nachts in ihren Wohnungen nicht aushielten. Und eben jenes Hotel suchte einen Nachtportier.
Waltraud gab alles und heuerte dort an.
Tagsüber ging sie mit Struppi und hielt ihre Wohnung sauber, sprach mit sich selbst und verschickte Briefe an Freundinnen. Nachts machte sie sich hübsch, und zunehmend hübscher.
Sie plauderte mit den Nachtschwärmern, die in den frühen Morgenstunden ins Hotel kamen. Sie plauderte mit den Urlaubern, die mit wunden Füßen am frühen Abend zurück kamen. Sie nähte Knöpfe der Handelsreisenden an und verleugnete untreue Ehemänner am Telefon des Empfangs.
Es dauerte einige Wochen bis Waltraud die Blicke der Einsamen richtig deuten konnte. Zunächst hielt sie es für eine Sehschwäche, dann für eine neue Augenkrankheit und schließlich ging ihr auf, dass die Blicke ihrem Dekolltée galten. Und das war zugegeben…. eine Offenbarung. Diese Erkenntnis war Waltrauds zweiter Meilenstein.
Von da an, ging sie ihre Kleidung bedächtiger noch auswählen und lernte, ganz unauffällig ihren einladenden Ausschnitt über den Empfangstresen zu legen. Es machte ihr Spaß und ein leichtes Prickeln kam wieder in ihr Leben. Sie tat sich Duftöl in den Ausschnitt und errang Meisterschaft darin, einen kleinen Keks so zu essen, dass die Krümel… na Sie wissen schon. Die daraufhin stotternd nach ihrem Schlüssel verlangenden Dienstreisenden, waren Waltrauds dritter Meilenstein.
Der vierte Meilenstein kam in Form des Herrn Huber in Waltrauds Hotel. Herr Huber kam mit Frau Huber, die aber zwanzig Jahre jünger und wie sich heraus stellte, auch nicht Frau Huber war. Denn eben jene Frau Huber kam just in dem Moment ins Hotel gestürmt, als Herr Huber den Zimmerschlüssel ergriffen hatte und beim Blick in den Spiegel hinter dem Tresen, die heranstürmende Gattin sah. Mit der Geschwindigkeit eines Geparden war er hinter den Tresen gesprungen, hatte die falsche Frau Huber einfach stehen lassen und ihr noch ein paar Worte zugezischt. Die echte Frau Huber rannte schnaubend zum Empfang und fragte Waltraud nach ihrem Gatten.
Waltraud allerdings hatte den Gatten der echten Frau Huber zu ihren Füßen. Und während sie der echten Frau Huber erklärte, dass sie keinen Gast seines Namens… und auch nicht mit dem Vor- aber falschem Nachnamen habe, spürte sie das Herz des Herrn Huber an ihren Knöcheln schlagen. Die echte und die falsche Frau Huber verschwanden und Herrn Hubers Hände fuhren langsam an Waltrauds Beinen hinauf, damit er sich aufrichten konnte.
Er hatte Schnappatmung und Waltraud nahm ihn an ihre Brust, auf das er sich beruhige. Der gute Herr Huber war so außer Atem und nervlich am Ende, das sie ihn auf sein Zimmer brachte, denn das hätte er nie im Leben alleine gefunden.
Seit dieser Nacht weiß Waltraud, das ein weiblicher Nachtportier…..vielen Nöten begegnet. Sie würde das nie an die große Glocke hängen. Nur ganz nebenbei…. lässt sie fallen, dass Zimmerservice nicht nur das Heraufbringen kalter Brötchen und Bierflaschen ist. Und nur ganz nebenbei erzählt sie, wie gut sie Knöpfe annähen kann, wenn sie im Schneidersitz auf dem Bett sitzt. Nur ganz nebenbei erzählt sie, dass sie früher mal Masseuse war und Vorleserin, Trösterin, Eheberaterin und eine Frau zum Anfassen.
Seitdem nennt sich Waltraud „Polly“…. und wirklich alle schätzen ihren vielfältigen Zimmerservice.
Weberin - 31. Jan, 08:46

ich werde langsam aber sicher süchtig nach ihren geschichten.

datja - 31. Jan, 10:51

datja

;)
ich bins schon !
wenn sie erfolgreich entschleunigt haben gibts hoffentlich wieder mehr davon !

Darklady - 31. Jan, 10:53

Aaaach - schööööön, meeeeehr!

Jossele - 31. Jan, 12:26

Wär´s zuviel verlang um die Adresse dieses Hotels zu bitten ;-)
Wunderschöne Geschichte! Bitte noch eine.

rosmarin - 1. Feb, 09:20

moment.... ich geh sie suchen :-)
steppenhund - 1. Feb, 11:07

Das erinnert mich an meine Russlandreisen.
In den Hotels gab es die sogenannten Dejournayas. (Deschurnajas) Die gab es auf jedem Stockwerk und dienten eigentlich dazu, die ausländischen (und manchmal auch inländischen) Gäste zu überwachen.
Für mich waren sie willkommene Sprachlehrerinnen. Um Mitternacht, wenn ich nicht schlafen konnte, spazierte ich noch einmal hinaus und unterhielt mich mit ihnen. Anfänglich sehr, sehr rudimentär, später etwas fließender. Ausschließlich smalltalk. Aber ebenso ausschließlich nur auf Russisch. Und meines wurde fließender und fließender:)

la-mamma - 1. Feb, 12:05

was für eine schöne geschichte!

rosmarin - 1. Feb, 22:49

danke für die lieben worte :-)
ich werde polly gern weiter leben lassen :-)....

viennacat - 5. Feb, 16:09

Danke

Sie haben mich zum Lächeln gebracht, und das hat derzeit Seltenheitswert!

rosmarin - 6. Feb, 20:02

:-)))))))))))))))
*strahlt*

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und überhaupt....

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